Mit der Ausstellung BORGO präsentiert die Galerie Wilma Tolksdorf Frankfurt Arbeiten einer neuen Werkgruppe von Johanna Diehl, die 2011 in Italien entstanden sind.
In diesen Fotografien befasst sich die Künstlerin mit der Struktur von Idealsiedlungen, die zwischen 1926 und 1943 unter Benito Mussolini im Hinterland von Sizilien gebaut wurden und die den Versuch einer Gesellschaftsordnung artikulieren. Mit präzisem Blick setzt sich Johanna Diehl, wie bereits in ihrem vorhergegangen Werkzyklus ?Displace?, mit dem Gedächtnis von Orten, dem medialen Bewusstsein von Architektur und ihrer Verbindung zur Ideologie auseinander.
Diese Siedlungen, sogenannte "Borghi", sind programmatisch entworfene Dörfer, die eine Erschließung des ländlichen Siziliens vorsahen und als Angelpunkte der ruralen Gesellschaft dienen sollten. Sie enthielten jeweils die gleichen funktionalen Gebäude: eine zentrale Piazza, eine Kirche, ein Parteigebäude, eine Schule, und weitere festgelegte Einrichtungen und spiegeln in ihrer Struktur den Machtanspruch der Faschisten wider. Heute sind viele Borghi verlassen und liegen in der Landschaft als nicht erfüllte Utopien - gedächtnislose Orte, die sich inzwischen mit Zeit angefüllt haben.
Johanna Diehl wählte als Titel ihrer Ausstellung den Singular 'Borgo'. Damit erklärt sie, dass es ihr vielmehr um das Konzept dieser Orte, als um die Aufzählung einzelner Phänomene geht.
Die großformatigen Fotografien (analoge C-Prints, 103 x 131 cm) befassen sich mit der kulissenhaften, beinahe potemkinschen Konstruktion, der künstlichen Situierung und Oberfläche dieser Orte und ihrem immanenten filmisch-fotografischen Bewusstsein. Die Serie von kleinformatigen Bildern (38 x 48,5 cm) deutet eine Typologie an. Sie zeigt Gebäude, denen eine bestimmte Funktion zugewiesen ist und ergibt einen fiktiven, nur in der Aneinanderreihung der Bilder existenten Ort.
Als Inspiration zu diesem Ansatz diente der Künstlerin die Legende von der Gründung des Ortes Mussolinia auf Sizilien, die u.a. von Andrea Camilleri und Leonardo Sciascia literarisch aufgegriffen wird. Dieser Ort wurde tatsächlich geplant und auf Papier konzipiert, aber es hat ihn nie gegeben. Als Mussolini sich eines Tages nach dem Zustand des Ortes erkundigte, für den er den Grundstein gelegt hatte, beeilten sich die Zuständigen, in großer Angst, innerhalb weniger Tage eine Kulissenstadt nach den Zeichnungen aufzubauen. Sie fotografierten diese ab und konstruierten ein Album, in dem sie Fotografien der Attrappe mit Fotografien bestehender Orte vermischten. Johanna Diehl nimmt diese Idee von der Erschaffung eines Ortes, den es nur in der Fotografie gibt, auf und führt uns dessen Konstruktion vor.
Johanna Diehl, 1977 in Hamburg geboren, lebt und arbeitet heute in Berlin. Sie studierte Fotografie an der Hochschule für Grafik und Buchkunst in Leipzig bei Prof. Timm Rautert und ist Meisterschülerin bei Prof. Tina Bara. Die Arbeit BORGO wurde vom DAAD mit einem Arbeitsstipendium gefördert.